Eine Vase ist eine Vase…

 „Dem Blick des Betrachters bleibt vorbehalten, das zu vollenden, was die Künstlerin mit ihren Händen gedacht und im lebendigen Material des Tons angedeutet hat.“

– Lucien Kayser

BARBARA REISINGER

In ihrem vielfältigen wie vielschichtigen Œuvre mit dem Medium Keramik schafft Barbara Reisinger in ihrer künstlerischen Arbeit ein Referenzspektrum zwischen historisch-traditionellen Vasenformen und hochaktuellen Designobjekten. Zwischenräume – leerer, geformter Raum, das Spiel mit positiven und negativen Formen stehen hierbei oftmals im Mittelpunkt der Gestaltung. Die Künstlarin erforscht in ihren Arbeiten das Verhältnis von Objekt und Bild, stellt Bezüge zur Filmwelt oder auch zur klassischen Moderne her, rekonstruiert Stillleben von Giorgio Morandi, Juan Gris und Pablo Picasso, indem sie die auf den Gemälden abgebildeten Gefäße formt und in dreidimensionalen bühnenartigen Räumen inszeniert. Ihr künstlerisches Tun, ihre Haltung und Positionierung sind der Jetztzeit verpflichtet, auch in ihrer Suche nach Bilderzählungen und Bildgestaltungen, die das heutige bewegte Leben zu erfassen und zu artikulieren vermögen. Das umfangreiche Werk Barbara Reisingers ist in zahlreichen Katalogen und Zeitschriften dokumentiert. 

Barbara Reisinger.

„SCHATTEN“ (1993)

Die Porzellangefäße von Barbara Reisinger sind streng, klar und schlicht; sie scheinen einer beflügelten Phantasie entgegengesetzt zu sein und Gedankenwucher strikt zu verbieten – dennoch inspirieren sie die Vorstellungswelten des Betrachters auf ungeahnte Weise.

Die Formen, ihre manchmal „schiefe Existenz“ und auch die Farbgebung – manchmal ist es ein aus der Drehung herauslaufender „Farbschweif“ – signalisieren sehr deutlich Bewegung; sie sind Momente der Auslösung und der Assoziation, sind Ursprungsorte. Ihr Entstehen aus Drehung und Dynamik in Verbindung mit einem starken Bewusstsein und einer sicheren Intuition für die Gültigkeit einer Form ist deutlich lesbar.

„Schatten“ , 1993, Porzellan

Die Bewegung, die sich aus dem „schwarzen Grund“ heraus entfaltet, bleibt bei vielen Gefäßen mit diesen eng verbunden. Sie ist nach außen und oben hin prägnantes Zeichen des Kontrastes – mehr Andeutung als Behauptung.

„AUGARTENVASE NR. 900521“ (1995)

Die „Augartenvasen“ zitieren ein wohlbekanntes historisches Vokabular, ohne jedoch dessen Funktion und Aussage übernehmen zu wollen. Barbara Reisinger gelingt dies durch den einfachen Kunstgriff der Negativform. Wie Gussformen füllen ihre Tonobjekte lediglich den Raum zwischen den Gefäßen aus. Nun ist es zunächst die zentrale Aufgabe von Gefäßen: Hohlräume zu umschließen. Paradoxerweise tun dies Barbara Reisingers Objekte nur in einer bildmäßigen oder reliefartigen Schicht, nicht von allen Seiten. Sie gehören  zwei Realitätsebenen an: der Ebene des Bildes (von einem Gefäß) und der Ebene des Gefäßes selbst. Für sich genommen, würden die „Zwischenraumgefäße“ durchaus als Vasen funktionieren (sie sind ihrerseits hohl und an der Oberseite offen); im Ensemble rufen sie jedoch vor allem ein funktionsloses „Bild“ von verschiedenen bekannten Vasentypen hervor. 

„Augartenvase Nr.  900521“, 1995,  Gießton

Auf spielerische Weise thematisiert Barbara Reisinger damit das alte Dilemma der Keramik zwischen freier und angewandter Kunst, Ästhetik und Gebrauchswert, indem sie dieses „Zwischen“ buchstäblich besetzt. Sie agiert damit im Feld der Kunst als eines metasprachlichen Diskurses, ohne das Feld der Keramik zu verlassen. Was sie vielmehr schafft, ist eine Medienkritik der Keramik und ihrer Geschichte. 

„EINE VASE IST EINE VASE…“ (1998)

Viele Arbeiten Barbara Reisingers sind durch eine konsequente Auseinandersetzung mit historischer Keramik geprägt, wobei besonders das 18. und 19. Jahrhundert im Mittelpunkt ihres Interesses stehen.

1997 entstand eine Serie aus einfachen Vasen in Plattentechnik, auf die Abbildungen prachtvoller, reich dekorierter historisierender Vasen in Siebdruck aufgebracht waren. 

„Eine Vase ist eine Vase…“, 1998, H: 45 cm

Sie wurden mit Bildern aus Filmen ausgestattet, die historische Persönlichkeiten aus der zweiten Hälfte des 18. und 19. Jahrhunderts darstellten oder Schauspieler*innen in deren Rollen zeigten, wobei Barbara Reisinger den Fokus auf die eindimensional geprägte Sichtweise des Betrachtenden darauf und das einseitige Rollenverständnis richtete. 

1998 wurde dieses Verfahren der Verfremdung noch dadurch gesteigert, dass die Plattenvasen durch Henkel den historisierenden Amphoren-Formen der Siebdrucke angeglichen wurden und durch eine Lamellentechnik, die drei unterschiedlichen Ansichten auf den Dekor gestatteten: die farbige Silhouette einer Vasenform, den Zwischenzustand, die Vase im schwarzen Siebdruck. Hier führt die Künstlerin beeindruckend vor Augen, auf welch spannende Weise eine keramische Oberfläche wandelfähig und inspirierend sein kann. 

„KOMMUNIZIERENDE GEFÄßE“ (2002)

Schließlich wird die Vase zu lediglich einem „Aspekt“ ineinander geschmiegter organischer Hohlkörper und erscheint aus anderen Blickwinkeln, wenn überhaupt, wie ein kubistisch aufgesplittertes Bild eines ehemals intakten Körpers. Barbara Reisingers Objekte spielen quasi Keramik, sie führen ein Vasenbild auf; und dass sie nun aus rotbrauner Terracotta sind und mit „typisch“ keramischen Pastelltönen glasiert werden, gehört zu ihrer Rolle. 

„Kommunizierende Gefäße“ , 2002, H: 60 cm

Wie Akteure können sie sich zu immer neuen Konfigurationen gruppieren und damit ihre Zwischenräume zu Vasenkonturen, zu bedeutungsvollen und -gefüllten Hohlräumen werden lassen. Bei diesen Objekten verschränken sich kreuzweise die farblich unterschiedenen Silhouetten verschiedener Vasenformen.  Barbara Reisingers keramische Objekte spielen auf einer Metaebene, und ihr Stück handelt von der Geschichte der Keramik als einem Medium sozialer Interaktionen.

„SÄULEN“ (2016)

Die Installation von Stelen, die Barbara Reisinger im Raum arrangiert, nimmt sich experimentell und widersprüchlich aus. Die Künstlerin kombiniert – angeregt von  Materialstudien während eines China-Aufenthaltes – Gewachsenes mit Artifiziellem, Konstruiertes mit Organischem. Nach jahrzehntelanger Entwicklung des Werkstoffs Keramik in neue, unerforschte Richtungen hat sie hier mit diesen Objekten eine weitere Facette an Gestaltungsmöglichkeiten vorgelegt: Gefundene Baumstämme werden den zart modellierten Hohlobjekten der Künstlerin zugeführt; sie können gleichsam in eine neue, eine Kunst-Welt weiterwachsen. Die bildliche Rhetorik von Barbara Reisinger folgt dem Zuordnen von unterschiedlichen Wesenheiten und der Kombinatorik von verschiedenen Werkstoffen. Die plastische Qualität ihrer Objekte erschließt sich auch über das Bild der Oberfläche: einerseits rissig und schrundig als Rinde der Stämme, andererseits gerillt, gerundet im artifiziellen Werkstoff des gebrannten Porzellans.

„Säulen“, 2016, H: 130 bis 160cm

„GESTRANDET“ (2022)

Anders als viele Arbeiten Barbara Reisingers aus der Vergangenheit, bei denen ihr Augenmerk dem Innen/Außen, der Positiv- und Negativform, der Farbe und Glasur galt, erscheinen neuere Arbeiten vergleichsweise roh und pur: dunkel oder heller gebrannter Ton, kombiniert mit weißem Porzellan als Bildträger. Doch sie folgen einem neuen Impuls: Es geht darum, etwas mit Bildern zu erzählen und dabei der Keramik als Medium sozialer Interaktionen zu vertrauen. 

„Gestrandet“, 2022, D: 42cm

Die Zweidimensionalität der Zeichnung wird sowohl bei den Wandtellern als auch den Vasen in die Dreidimensionalität des Raumes hinein geformt – stärker im Hervorquellen aus den Öffnungen der Vasen, etwas zurückhaltender auf den Tellern, auf denen der Bildraum von einem breit aufgetragenen Pinselstrich gegeben wird, der mit der leichten Hohlform des an der Töpferscheibe gedrehten Tellers interagiert. Ein zusätzlicher Spannungsbogen entsteht dadurch, dass dieser nicht ein zentrales, mittiges Bildfeld schafft, wie es die Tradition der Wandteller als Bildträger vorgeben würde. Die Bild-Teller verleugnen aber auch nicht ihren konventionellen Einsatz, was hier die neue Wirkung eher verstärkt oder eigentlich erst begründet, wobei die Konvention Teil des Bedeutungsgeflechts wird. Wie der Zug des weißen Bildfeldes als Spur sichtbar die Zeit kurz hält, ein Schnelles und Plötzliches entäußert, so zeigen die Zeichnungen analog dazu auf Schnappschüssen basierende Interaktionen.

kR auf Facebook